Was treibt den Immobilienmarkt Schweiz?

Vom 31.03.1970 bis zum 31.12.2022 haben sich die von Wüest Partner erhobenen Angebotspreise für Immobilien wie folgt entwickelt:

    Am stärksten zugelegt haben Einfamilienhäuser, gefolgt von den Eigentumswohnungen, den Mehrfamilienhäusern, den Büro-, den Gewerbe- und den Verkaufsflächen. Der mittlere jährliche Preisanstieg für Einfamilienhäuser rechnet sich mit 3,26%, jener für Eigentumswohnungen mit 3,07% und jener für Mehrfamilienhäuser mit 2,76%. Damit können die Bürohäuser (1,90%), die Gewerbeliegenschaften (1,84%) und die Einzelhandelsliegenschaften (1,19%) nicht mithalten.

    Wohnliegenschaften

    In den 1990er-Jahren sind die Preise für Wohnliegenschaften regelrecht eingebrochen. Vom 31.12.1989 bis zum 31.12.1998 gaben Einfamilienhäuser (EFH) im gesamtschweizerischen Schnitt um (–)25,23% nach. Eigentumswohnungen (EWG) verloren vom 30.06.1990 bis zum 30.06.1998 (–)22,16% und Mehrfamilienhäuser (Mietwohnungen, MFH) vom 31.12.1991 bis zum 30.09.1999 (–)37,73%. Seither haben EFH um 93,56%, EWG um 89,18% und MFH um 40,52% zugelegt.

      Auslöser des Immobiliencrashs war ein Anstieg der Hypothekarzinssätze um fast 3 Prozentpunkte, d.h. von rund 5% im Jahr 1989 auf 7,8% im Mittel der Jahre 1990 bis 1992. Der Zinsanstieg wiederum war die Folge der stark restriktiven Geldpolitik der Schweizerischen Nationalbank (SNB) mit dem Ziel, den Anstieg der jährlichen Teuerungsraten (Konsumentenpreise, Baukosten) von 6% und mehr zu brechen.

      Die rekordhohen Hypothekarzinsen – zuvor galten rund 6,5% als Schallgrenze – und der dadurch ausgelöste Einbruch der Immobilienpreise in den 1990er-Jahren gelten als Beleg für das Wechselspiel zwischen Hypothekarzins- und Immobilienpreisentwicklung. Steigende Zinsen werden mithin gleichgesetzt mit nachgebenden Immobilienpreisen und umgekehrt. Aber ganz so klar ist die Sache nicht.

      Wie das obige Diagramm zeigt, lassen sich für den Betrachtungszeitpunkt (31.03.1970 bis 31.12.2022) 13 Zinszyklen erkennen, davon sechs mit sinkenden und sieben mit steigenden Hypothekarzinsen. Die Phasen mit sinkenden Hypothekarzinsen dauerten insgesamt 375 Monate, jene mit steigenden Hypothekarzinsen 258 Monate.

      Und wie entwickelten sich in diesen Phasen die Angebotspreise für Einfamilienhäuser, Eigentumswohnungen und Mehrfamilienhäuser?

      Einfamilienhäuser

      Für Einfamilienhäuser (EFH) präsentiert sich der Hypothekarzinseffekt wie folgt: In den 375 Monaten mit tendenziell sinkenden Hypothekarzinsen legten die Angebotspreise um 137,19% zu. Das sind 2,80% pro Jahr. Aber auch in den 258 Monaten mit anziehenden Hypothekarzinsen sind die Angebotspreise für Einfamilienhäuser kräftig gestiegen, insgesamt um 128,58%. Aufs Jahr umgerechnet entspricht dies einem Preisanstieg von 3,92%. Das sind 1.12 Prozentpunkte mehr als in einem Umfeld mit sinkenden Hypothekarzinsen. Mit anderen Worten: Die Gleichung «steigende Hypothekarzinsen gleich sinkende EFH-Preise bzw. sinkende Hypothekarzinsen gleich steigende EFH-Preise» stimmt so nicht. Steigende Hypothekarzinsen sind eine ungenügende Voraussetzung für stark sinkende EFH-Preise. Dafür braucht es zum Ersten einen überteuerten Markt und zum Zweiten einen markanten Hypothekarzinsanstieg auf wohl deutlich über 6%.

          Sucht man die Treiber der EFH-Preise, findet man diese «unschwer» bei der Baukostenteuerung und beim Wachstum der ständigen Wohnbevölkerung. Im Frühjahr 1970 zählte die Schweiz rund 6.175 Mio. Einwohner; Ende 2022 waren es rund 8.808 Mio. Das entspricht einem Zuwachs von 42,64% bzw. einem Faktor von 1.4264. Multipliziert mit dem Faktor für die Baukostenteuerung von 3.4283 erhält man einen Wert von 4.8901 (1.4264 x 3.4283) bzw. 489.01 Punkten. Das ist nicht allzu weit entfernt vom Wüest Partner-Index von 542.15 Punkten. Womöglich lässt sich daraus schliessen, dass der EFH-Markt gut 10% überteuert ist (542.15 ÷ 489.01 – 1 = 0.1087 bzw. 10,87%).

          Eigentumswohnungen

          Für Eigentumswohnungen (EWG) präsentieren sich die Ergebnisse wie folgt: In den 375 Monaten mit tendenziell sinkenden Hypothekarzinsen legten die Angebotspreise um 165,62% zu. Das sind 3,18% pro Jahr. Aber auch in den 258 Monaten mit steigenden Hypothekarzinsen sind die Preise gestiegen, insgesamt um 85,36% und pro Jahr um 2,91%. Der Befund ist zwar weniger klar als bei den Einfamilienhäusern: Aber auch hier gilt: Der Hypothekarzinseffekt ist – ausgenommen bei einem echten Hypothekarzins-Schock – deutlich geringer als gemeinhin erwartet. Kommt dazu, dass die Verknüpfung von Baukostenteuerung und Bevölkerungswachstum (1.4264 x 3.4283 = 4.8901) sehr nahe an den Wüest Partner-Index von 492.35 Punkten führt.

              Bemerkenswert ist notabene, dass sich der Lohnindex und die Indizes für Einfamilienhäuser bzw. Eigentumswohnungen in jüngster Zeit angenähert haben. Der EFH-Index notiert gar recht deutlich über dem Lohnindex. Das war letztmals vor Ausbruch der Immobilienkrise der Fall.

              Mehrfamilienhäuser

              Und hier die Resultate für die Mehrfamilienhäuser (Mietwohnungen, MFH): In den 375 Monaten mit tendenziell sinkenden Hypothekarzinsen legten die Angebotspreise um 29,21% zu. Das sind 0,82% pro Jahr. In den 258 Monaten mit steigenden Hypothekarzinsen sind die Angebotspreise für Mehrfamilien-häuser um 225,52% gestiegen. Pro Jahr sind das nicht weniger als 5,64%! Konkret: Steigende Hypothekarzinsen und mithin ein allgemeiner Anstieg des Zinsniveaus beflügeln den MFH-Markt. Je höher das Hypothekarzinsniveau, desto leichter ist es, höhere Mietzinsen durchzusetzen und mithin höhere Immobilienrenditen zu erzielen. Nichtsdestotrotz: Ein eigentlicher (Hypothekar)Zinsschock kann auch dem MFH-Markt ganz übel mitspielen.

                Seit Mitte 2015 haben die Angebotspreise für Mehrfamilienhäuser um (–)9.06% nachgegeben. Per 31.12.2022 notiert der MFH-Index sogar leicht tiefer als der Mietpreisindex. Im Betrachtungszeitraum war dies zweimal der Fall. In der Folge sanken die MFH-Preise um weitere (–)11,27% (30.09.1996 bis 30.06.2000) bzw. um weitere (–)7,27% (30.09.1975 bis 31.03.1977).

                Kommerzielle Liegenschaften

                Die Kommerziellen Liegenschaften (Bürohäuser, Gewerbehäuser, Einzelhandelsliegenschaften) spielen in einer eigenen Liga. Die Preisentwicklung läuft seit der zweiten Hälfte der 1990er-Jahre mehr oder minder seitwärts. Von der rasanten Preisentwicklung bei den Wohnliegenschaften bleiben die Kommerziellen Liegenschaften unberührt. 

                  Zusammenfassung

                  Der in jüngster Zeit rasante Anstieg der Konsumentenpreise in Europa und in den USA und die längst fällige Abkehr von einer Politik des billigen Geldes lassen Zinsängste aufkommen. Wie die 1990er-Jahre zeigen, führte der markante Anstieg der Hypothekarzinsen in bisher unbekannte Höhen zu einem veritablen Einbruch der Immobilienpreise. Dieser erfasste sowohl die Wohn- als auch die Kommerziellen Liegenschaften. In diesem Kontext stellt sich die Frage, ob ein rascher und markanter Anstieg der Hypothekarzinsen dieselben Effekte auslösen könnte wie in den 1990er-Jahren.

                  Eine Analyse auf Basis der Angebotspreise von Wüest Partner für die letzten gut 50 Jahre legt offen, dass das Auf und Ab der Hypothekarzinssätze die Immobilienpreise weit weniger beeinflusst als gemeinhin kolportiert. Alles in allem sind die Immobilienpreise gestiegen, unabhängig davon, ob sich die Hypothekarzinssätze nach Norden oder nach Süden bewegten. Für die Preisentwicklung von Mehrfamilienhäusern wirken hohe (Hypothekar)Zinssätze sogar belebend. Der Markt für Einfamilienhäuser ist wenig zinssensitiv. Etwas anfälliger auf Zinsveränderungen sind dagegen die Eigentumswohnungen. Die echten Preistreiber für Einfamilienhäuser und Eigentumswohnungen sind nicht die Hypothekarzinssätze, sondern die Baukostenteuerung und das Bevölkerungswachstum.

                  Selbstverständlich darf man einen Crash, in welchem Markt auch immer, nie ausschliessen. Der jüngste Zinsanstieg ist aber nichts anderes als der Weg zurück in ein normales Zinsgefüge im Bereich von 3% bis 5%. Sollte es dabei bleiben, ist ein starker Einbruch der Immobilienpreise eher unwahrscheinlich. Angesichts der Tatsache, dass der Erwerb von Wohneigentum für (zu) viele zu einem unerfüllbaren Traum geworden ist, wäre eine Preiskorrektur von 10% bis 15% durchaus wünschenswert. Mag sein, dass der jüngste Preisrückgang bei den Mehrfamilienhäusern eine Art Vorbote ist.

                  © Max Lüscher-Marty

                  Zizers, 23.02.2023