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Staats-Schuldenquoten messen die Staatsverschuldung von Staaten (Zentral-, Teilstaaten) oder Wirtschaftsräumen (z.B. EU-, OECD-Staaten) in Relation zum Bruttoinlandprodukt (BIP). Aber wie kommt es, dass etwa für die Schweiz wenigstens fünf verschiedene Staats-Schuldenquoten 2023 (15,74%, 16,18%, 26,93%, 31,60%, 38,23%) kursieren?
Staatsschulden werden nicht einheitlich berechnet. Einerseits kommen verschiedene Modelle zur Anwendung: Da wäre zunächst das FS-Modell, dann das GFS- bzw. IWF-Modell und schliesslich das Maastricht-Modell. Andererseits ist zu unterscheiden zwischen Brutto- und Nettoschuld. Für die Schweiz ist deshalb zu unterscheiden zwischen der FS-Bruttoschuldenquote, der FS-Nettoschuldenquote, der IWF-Bruttoschuldenquote, der IWF-Nettoschuldenquote und der Maastricht-Schuldenquote.
Im Folgenden gehen wir auf die drei Modelle einzeln ein zeigen anschliessend auf, wie sich die Schweiz punkte Staatsschuldenquote(n) international positioniert.
Beginnen wir mit der Bruttoschuldenquote. Sie entspricht der Bruttoschuld, berechnet nach den Regeln der schweizerischen Finanzierungsrechnung, in Relation zum nominellen Bruttoinlandprodukt (BIP). Die Finanzierungsrechnung, auch FS-Modell genannt, stützt sich auf die Datenbasis gemäss Harmonisiertem Rechnungslegungsmodell für die Kantone und Gemeinden (HRM2).
Um die Vergleichbarkeit der Rechnungen von Bund, Kantonen, Gemeinden und Sozialversicherungen sicherzustellen, sind Anpassungen erforderlich. Dies führt namentlich beim Bund dazu, dass die Zahlen der Haushaltrechnung mit der Finanzierungsrechnung nicht exakt übereinstimmen. Gründe dafür sind die Zurechnung staatsnaher Betriebe (z.B. ETH, Schweiz Tourismus), die Weglassung von Finanzderivaten und Abweichungen bei der jährlichen Rechnungsabgrenzung.
Für das Jahr 2023 wird die staatliche Bruttoschuld – sie entspricht der Summe aus Laufenden Verbindlichkeiten sowie Kurz- und Langfristigen Finanzverbindlichkeiten zu Nominalwerten – mit CHF 251.344 Mia. ausgewiesen. In Relation zum Bruttoinlandprodukt (BIP) für das Jahr 2023 von CHF 795.291 Mia. rechnet sich eine FS-Bruttoschuldenquote von 31,60%.
Die FS-Bruttoschuldenquote ist von Ende 1998 (50,2%) bis Ende 2019 (29,8%) kontinuierlich gesunken. Zum einen konnte die FS-Bruttoschuld tief gehalten werden (1998: 220.7 Mia., 2019: 213.7 Mia.). Zum anderen hat das nominelle BIP deutlich zugelegt (1998: 439.5 Mia., 2019: 717.3 Mia.). Der Anstieg der FS-Bruttoschuld von Ende 2019 bis Ende 2023 um 17,60% (251.3÷213.7 – 1) ist im Wesentlichen der Corona-Pandemie geschuldet. Weil gleichzeitig die Schweizer Wirtschaft um 10,87% gewachsen ist (795.3÷717.3 – 1), hat sich die Bruttoschuldenquote nur moderat auf 31,6% erhöht. Sollten die Prognosen in etwa zutreffen, wird das BIP bis Ende 2027 stärker wachsen als die Bruttoschuld und mithin die Bruttoschuldenquote wieder sinken.
Die Nettoschuld und mithin die Nettoschuldenquote berücksichtigt, dass die Bruttoschuld der Öffentlichen Haushalte zumindest teilweise aus dem Finanzvermögen getilgt werden könnte. Entsprechend werden in der schweizerischen Finanzierungsrechnung (FS-Modell) die Flüssigen Mittel, die Forderungen sowie die Kurz- und Langfristigen Finanzanlagen von der Bruttoschuld abgezogen. Für das Jahr 2023 rechnet sich so eine Nettoschuld von CHF 125.197 Mia. (251.344–126.147) und eine Nettoschuldenquote von 15,74% (125.197÷795.291).
Vergleicht man Abbildung 2 mit Abbildung 1 fällt auf, dass sich die Brutto- und die Nettoschuldenquote von 1990 bis 2005 nicht parallel entwickelt haben. Das liegt daran, dass die Bruttoschuld in dieser Zeitspanne deutlich stärker gewachsen ist als das Finanzvermögen.
Um die internationale Vergleichbarkeit sicherzustellen, muss die schweizerische Finanzierungsrechnung (FS-Modell) mit den Richtlinien des «Government Finance Statistics Manual 2014» (GFS-Modell) des Internationalen Währungsfonds (IWF) in Einklang gebracht werden. Das führt zur IWF-Schuld und zur IWF-Schuldenquote. Gleich wie beim FS-Modell werden Brutto- und Nettowerte veröffentlicht.
Die IWF-Bruttoschuld für das Jahr 2023 wird mit CHF 304.721 Mia. ausgewiesen und die IWF-Bruttoschuldenquote mit 38,32% (304.721÷795.291).
Die IWF- bzw. GFS-Werte (304.721, 38,32%) übersteigen die FS-Werte (251.344, 31,60%) deutlich. Das liegt zum Ersten daran, dass die IWF-Schuld breiter definiert ist. Sie erfasst (mit Ausnahme der Finanzderivate) das gesamte Fremdkapital. Eingeschlossen sind namentlich die Verpflichtungen gegenüber Pensionskassen und die Sonstigen Verpflichtungen (Lieferantenkredite, Löhne, Sozialbeiträge oder etwa Mieten). Zum Zweiten wird das Fremdkapital, insbesondere die Obligationen-Anleihen (Schuldtitel), soweit möglich zu Marktpreisen bewertet. Die Bewertung zu Marktpreisen führt unter anderem dazu, dass die IWF-Schuld bzw. die IWF-Schuldenquote stärker schwankt als die FS-Schuldenquote. Bekanntlich steigen die Kurse der laufenden Obligationen, wenn die Zinsen sinken und umgekehrt. Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass die IWF-Bruttoschuldenquote auch als Fremdkapitalquote bezeichnet wird.
Bringt man von der IWF-Bruttoschuld die finanziellen Vermögenswerte ohne Beteiligungscharakter (Aktien und andere Anteilsrechte, Kollektive Kapitalanlagen, Finanzderivate) in Abzug, gelangt man zur IWF-Nettoschuld bzw. zur IWF-Nettoschuldenquote. Für das Jahr 2023 ergibt sich eine Netto-Schuldenquote von 16,2% (128.653÷795.291):
Zu guter Letzt gibt es auch noch die Maastricht-Schuld bzw. die Maastricht-Schuldenquote. Die Maastricht-Schuld bestimmt sich nach den Fiskalregeln des Maastricht-Vertrags aus dem Jahr 1992. Für das Jahr 2023 rechnet sich für die Schweiz eine Maastricht-Schuld von CHF 214.202 Mia. und eine Maastricht-Schuldenquote 26,93% (214.202÷795.291).
Die Maastricht-Schuld umfasst die Positionen Bargeld und Einlagen, Schuldtitel und Kredite. Das Bargeld steht für die Verbindlichkeiten des Bundes aus dem Münzumlauf (Stichwort: Münzregal). Der Münzumlauf wird notabene auch bei der IWF-Schuld mitgezählt. Als Einlagen gelten die finanziellen Verpflichtungen des Bundes auf Sicht (Kontokorrente) und gegenüber der Sparkasse des Bundespersonals. Die Schuldtitel setzen sich zusammen aus den Geldmarktpapieren des Bundes und den Obligationen-Anleihen von Bund, Kantonen und Gemeinden. Bei den Krediten handelt es sich um nicht verbriefte finanzielle Verpflichtungen, bei den Kantonen und Gemeinden hauptsächlich um Bankkredite. Die sehr eng gefasste Maastricht-Schuld hat zur Folge, dass sie deutlich tiefer ausfällt als die IWF-Bruttoschuld, aber auch tiefer als die FS-Bruttoschuld. Kommt dazu, dass die Maastricht-Schulden – gleich wie die FS-Schulden – zum Nennwert ausgewiesen werden.
Im internationalen Vergleich kommt die IWF-Bruttoschuldenquote der Schweiz von 38,32% recht moderat daher. Besorgniserregend sind vor allem die Schuldenquoten von Japan (252,4%), Italien (137,3%) und den USA (122,1%).
IWF-Bruttoschuldenquoten von 80% und mehr dürften eigentlich nicht sein.
Der Maastricht-Vertrag legt für den Staatssektor der EU-Mitgliedstaaten einen Schuldenstand von maximal 60% des BIP fest. Zudem sollte das Jahresdefizit 3% des BIP nicht übersteigen.
Von den 20 EU-Ländern, die Teil des Euroraums sind, sind bloss acht «Maastricht-konform». Ein Gütezeichen ist das wahrlich nicht. Gleich wie bei der IWF-Bruttoschuld schneidet die Schweiz auch hier vergleichsweise gut ab.
Kennzahlen sind wertvoll und hilfreich. Sie erlauben einen relativen Vergleich, sei es im Rahmen der Bilanz- und Erfolgsanalyse von Unternehmen, in der Aktienanalyse oder eben in der Haushaltanalyse von Staaten und Teilstaaten. Dennoch: Wer Kennzahlen unbesehen übernimmt und je nach Bedarf die gerade passende Kennzahl auswählt, macht es sich zu leicht. Ein kritischer Blick auf die Zahlen über und unter dem Bruchstrich ist alleweil angesagt.
Voraussichtliches Update: Mitte Juni 2025