Für Erstbesucher

Lesen Sie zunächst die einführenden Erläuterungen zum Aktienbarometer Schweiz!

Zizers, 06./07. Oktober 2022

Max Lüscher-Marty

Vorbemerkung

Meine Einschätzungen verstehen sich als Beitrag zur Meinungsbildung – nicht mehr, aber hoffentlich auch nicht weniger. Finanzmärkte im Allgemeinen und Aktienmärkte im Besonderen verhalten sich zu oft wie ungezogene Kinder. Sie halten sich nicht gerne an Regeln, auch wenn diese zuweilen durchaus vernünftig erscheinen.

Ich halte mich im Folgenden an den Swiss Performance Index (SPI). Der SPI ist bekanntlich ein Total Return Index und umfasst alle (rund 215) an der SIX primär kotierten Aktien (ohne Investmentgesellschaften). Er zeigt die Entwicklung des Aktienmarkts Schweiz unter der Annahme, dass die geleisteten Bruttodividenden unmittelbar reinvestiert werden.

Aktienmarkt Schweiz verliert bis eNDE sEPTEMBER (–)19,93%!

Mit 16'552.36 Punkten hat der Swiss Performance Index (SPI) am 28. Dezember 2021 sein bisheriges Allzeithoch erreicht. Bis zum 30. September 2022 (Schlusskurs: 13'166.38) hat der SPI 3'385.98 Punkte abgegeben. Das entspricht einem Minus von (–)20,46%. Gemessen am Jahresschlusskurs 2021 von 16'444.52 Punkten, rechnet sich ein Verlust (YTD) von (–)19,93%.

Viertgrösster NEUNMONATE-VERLUST seit lancierung des Spi!

Der Verlust (YTD) von (–)19,93% per Ende September ist der vierthöchste seit Lancierung des SPI im Jahr 1987.

Vergleichbare Neunmonate-Verluste gab es zuvor in den Jahren 1990 (–21,39%), 2001 (–27,32%), 2002 (–23,88%) und 2008 (–19,66%). Im Minus waren ausserdem die Jahre 1994 (–9,88%), 1998 (–5,28%), 2010 (–0,56%), 2011 (–13,54%), (2015 (–2,00%), 2016 (–2,32%) und 2020 (–0,88%).

Mit Blick auf die Jahresperformance 2022 dürfte interessieren, was das vierte Quartal in den Jahren 1990, 2001, 2002 und 2008 gebracht hat. Wie das obige Diagramm zeigt, schloss das vierte Quartal zweimal im Plus (1990: 1,54%, 2001: 7,28%) und zweimal im Minus (2002: –2,72%, 2008: –17,91%). Mal für mal lag die Jahresperformance unterhalb der Marke von –20% (1990: –20,17%, 2001: –22,03%, 2002: –25,95%, 2008: –34,05%). Das stimmt nicht wirklich optimistisch. Konkret: Die (kurze) Historie lässt keine Jahresend-Rally erwarten!

aktienbarometer Schweiz per 30.09.2022: Die lange Sicht

Am Freitag, 30. September 2022, schloss der SPI mit 13'166.38 Punkten. Gemessen am «neutralen» Wert (Mittelwert) meines Trendkanals von aktuell 13'774.56 SPI-Punkten, ist der CH-Aktienmarkt rund 4,5% (4,42%) unterbewertet.

Wer liquide ist und einen wirklich langen Anlagehorizont hat, darf sich «getrost» Gedanken über Neuengagements und/oder über die Aufstockung bestehender Positionen machen. Mit echten Value-Titeln dürfte man kaum falsch liegen. Weil die kurze Sicht nicht wirklich optimistisch stimmt (siehe auch weiter unten), ist ein etappiertes Vorgehen das Gebot der Stunde. Aber auch die lange Sicht macht klar, dass (leichte) Unterbewertungen nicht vor weiteren Kursverlusten schützen.

    aKTIENBAROMETER sCHWEIZ PER 30.09.2022: Die mittlere Sicht

    Aufgrund der Gewinnschätzungen für die kommenden 12 Monate rechnet sich per 30.09.2022 ein Markt-P/E (Markt-KGV) von 16.46. Entsprechend wird am CH-Aktienmarkt im Schnitt rund 16.5-mal der erwartete Gewinn bezahlt. Gemessen am mittleren P/E (KGV) von rund 16.0, ist der CH-Aktienmarkt rund 3% (2,88%) überbewertet.

      Unterstellt man ein nachhaltiges Markt-P/E (Markt-KGV) für den Aktienmarkt Schweiz von 16.0, ergibt sich per 30.09.2022 ein «fairer» Indexstand für den SPI von 12'798.40 Punkten. Basierend auf einer Standardabweichung von 3.2 P/E-Punkten rechnet sich für den SPI mit einer Wahrscheinlichkeit von rund 68% eine Bandbreite von 10'238.72 bis 15'358.08 Punkten. Eine Korrektur auf die untere Bandbreite, d.h. von 13'166.38 auf 10'238.72, entspräche einem Einbruch von (–)22,24%.

        Offen gestanden traue ich den Gewinnschätzungen für die nächsten 12 Monate nicht wirklich. Mit aktuell 799.9 SPI-Punkten (13'166.38 ÷ 799.9 = 16.46) sind sie wohl zu hoch. Sollten die Finanzanalysten auch nur 5% «übermarcht» haben, ergäbe sich ein «fairer» Indexstand für den SPI von nur noch rund 12'160 Punkten. Liegen die Gewinnschätzungen 10% zu hoch, wäre der SPI mit rund 11'520 Punkten «fair» bewertet.

        aKTIENBAROMETER sCHWEIZ PER 30.09.2022: dIE KURZE sICHT

        Gleitende Durchschnitte (Moving Average, MAV) sind die vielseitigsten und am häufigsten benutzten technischen Indikatoren. Sie zeigen, ob ein Trend noch intakt ist oder ob ein alter durch einen neuen Trend abgelöst wird. Oft werden Kreuzpunkte der 20-, 50- oder 200-Tage-Linien als Kauf- bzw. Verkaufssignale genutzt. Widerstands- und Unterstützungslinien deuten an, auf welchem Niveau Aufwärts- oder Abwärtstrends beendet werden könnten. Die Volatilität (Standardabweichung) auf Basis der Kursschwankungen der letzten 20 Börsentage indiziert die Stimmung der Marktteilnehmer.

          Am 07. März 2022 hat die 50-Tage-Linie (MAV 50) die 200-Tage-Linie (MAV 200) von oben nach unten durchstossen. Das entspricht einem «Todeskreuz» (Death Cross) und signalisiert, dass die Haussephase, ausgelöst am 09. Juli 2020, definitiv in eine Baisse-Phase gedreht hat. Sowohl die 50- als auch die 200-Tage-Linie zeigen aktuell weiter nach unten und deuten an, dass die Talfahrt wohl noch nicht zu Ende ist.

          Mit 13,98% ist die 20-Tage-Volatilität zurzeit erstaunlich tief. Das liegt im Wesentlichen daran, dass die jüngste Korrektur – anders als beim «Corona-Crash» – schubweise ablief. Mit Sorglosigkeit der Marktteilnehmer hat die tiefe 20-Tage-Volatilität nichts zu tun.

          Am 20. September 2022 hat der SPI die Widerstandslinie von rund 13'500 Punkten durchbrochen. Im Visier steht nun die nächste Widerstandslinie von rund 12'000 Punkten. Das Horror-Szenario wäre ein Taucher bis hin zur Widerstandslinie von rund 10'000 Punkten.

          Etwas Hoffnung geben die Widerstände auf der Basis von Fibonacci-Retracements (siehe das nachstehende Diagramm und die Erläuterungen im Anschluss an die Zusammenfassung). Entwarnung wäre womöglich angesagt, wenn der Widerstand von gut 13'050 Punkten (13'064.53) hält.

            Zusammenfassung

            Wer sich Hoffnungen auf eine Jahresend-Rally macht, wird wohl enttäuscht werden. Darauf lassen zumindest die Börsenjahre 1990, 2001, 2002 und 2008 schliessen. Darüber, ob die Talfahrt bald zu Ende sein wird, können wir nur rätseln. Das Durchbrechen der Widerstandslinie von 13'500 SPI-Punkten stimmt nicht wirklich optimistisch. Etwas Zuversicht wäre angebracht, wenn die Widerstandslinie von rund 13'050 SPI-Punkten (siehe das letzte Diagramm) hält.

            Aktienbörsen werden von den erwarteten Unternehmensgewinnen getrieben. Sollten die Finanzanalysten mit ihren Gewinnschätzungen richtig liegen, wären die aktuellen Bewertungen alles in allem nur leicht zu hoch. Womöglich sind aber die Gewinnschätzungen für die nächsten 12 Monate zu optimistisch. Es gibt noch zu viele Brandherde (Ukraine-Krieg, wieder ansteigende Corona-Zahlen, Engpässe bei den Energieträgern, Inflations- und Rezessionsängste, restriktive Geldpolitik, steigende Zinsen, absehbare Korrektur der Immobilienpreise, usw.), die dem Wirtschaftswachstum und dem Wachstum der Unternehmensgewinne enge Grenzen setzen.

            Dennoch: Wer liquide ist und einen wirklich langen Anlagehorizont hat, darf sich «getrost» Gedanken über Neuengagements und/oder über die Aufstockung bestehender Positionen machen. Mit echten Value-Titeln dürfte man kaum falsch liegen. Weil die kurze Sicht nicht wirklich optimistisch stimmt, ist ein etappiertes Vorgehen das Gebot der Stunde.

            An meiner eigenen «Strategie» (40% CH-Aktien, 60% Liquidität) halte ich nach wie vor fest. Mit dosiertem Einsatz von Short-Mini-Futures versuche ich, die Buchverluste ein wenig zu dämpfen.

            Zizers, 06./07. Oktober 2022

            fiBonacci-Retracements: nachtrag

            Fibonacci-Retracement-Levels werden in der Technischen Analyse verwendet, um Unterstützungs- und Widerstandspunkte zu orten. Grundidee ist die simple Feststellung, dass auf jeden Aufwärtstrend (Bullenmarkt) und jeden Abwärtstrend (Bärenmarkt) über kurz oder lang eine Gegenbewegung (Korrektur) folgt. Um das Ausmass dieser Gegenbewegungen abzuschätzen, greifen Techniker gerne auf die Fibonacci-Zahlenreihe zurück. Begründer dieser Zahlenreihe ist Leonardo Pisano (ca. 1170 bis ca. 1240), genannt Fibonacci, der wohl bedeutendste Mathematiker des Mittelalters.

            Die Fibonacci-Zahlenreihe beginnt wie folgt: 1, 1, 2, 3, 5, 8, 13, 21, 34, 55, 89, 144, usw. Dabei gilt: 1+1=2, 1+2=3, 2+3=5, 3+5=8, 5+8=13, 8+13=21, 13+21=34, usw. Das Besondere an dieser Zahlenfolge ist, dass sie mit einem praktisch konstanten Faktor von 1.618 wächst (21÷13=1.615, 89÷55 =1.618, 144÷89=1.618, 233÷144=1.618, usw.). Auch die Division der kleineren durch die grössere Zahl ergibt einen praktisch konstanten Wert von 0.618 (55÷89= 0.618, 89÷144=0.618, usw.). Teilt man eine Fibonacci-Zahl durch die vorletzte (z.B. 144÷55), rechnet sich jeweils ein Wert von ziemlich genau 2.618. Der reziproke Wert davon ist 0.382 (z.B. 55÷144).

            Das Ausmass der Korrekturen nach einem Aufwärtstrend wird wie folgt bestimmt: H – (H – L) x Fibonacci-Verhältniszahl. H steht für das zwischenzeitliche Höchst und L für das zwischenzeitliche Tiefst. Oft verwendete Fibonacci-Verhältniszahlen sind 0.382, 0.500 (als Zwischenwert) und 0.618.

            Bestimmt man für den Swiss Performance Index (SPI) das zwischenzeitliche Tiefst mit 9'576.69 und das letzte Höchst mit 16'552.36 Punkten, ergibt sich das Retracement-Level bei einer Verhältniszahl von 0.382 wie folgt: 16'552.36 – (16'552.36 – 9'576.69) x 0.382 = 13'887.65. Die Retracement-Levels bei einer Verhältniszahl von 0.500 bzw. 0.618 sind 13'064.53 bzw. 12'241.40.

            Das 50%-Niveau gilt als eines der wichtigsten Niveaus. Wird es durchbrochen, muss mit einer Fortsetzung des Abwärtstrends gerechnet werden. Hält das 50%-Niveau, ist «Entwarnung» angesagt. Per 30.09.2022 befindet sich der SPI an diesem Scheidepunkt.

            Zizers, 08. Oktober 2022

              Voraussichtlich nächstes Update: Anfang/Mitte Februar 2023